Die Badesaison ist eröffnet – Wellness beim Eisbaden
Erinnerung an einen weit entfernten Schultag im Jänner. Am Ende der Turnstunde öffnet der Lehrer den Hinterausgang der Turnhalle und macht uns ein Angebot: „Jeder der möchte, kann jetzt Schuhe und Socken ausziehen und draußen eine Runde um den Fußballplatz laufen“.
Es sehen sich 40 verwunderte Buben zuerst ratlos an. Aber schon kurz darauf mangelt es nicht an motivierten bloßen Fußsohlen, die begeistert ihre Abdrücke in der Schneedecke auf dem Sportplatz hinterlassen. Der Endorphin-Kick im Anschluss steht jedem ins Gesicht geschrieben – ein großes Highlight.
Die „Kälte-Maßnahme“ des Turnlehrers findet auch ihre Entsprechungen im Profisport: Unsere Fußballnationalelf durfte besonders während der WM-Qualifikation 2014 zwischen Trainings und nach Spielen regelmäßig eine Minute im Eis baden, Leichtathletik-Star Usain Bolt posiert 2013 in Moskau in einer Badewanne voll Eis, im Vereinssport sind Kältesprays bei umgeknickten Knöcheln schnell gezückt, zahlreiche Fitnessratgeber schwören auf einen regelmäßigen Kälteschock für den Körper und hunderttausende russisch-orthodoxe Christen üben sich jährlich im Winterbaden, um sich von ihren Sünden zu reinigen (Ob das auch bei Doping-Sünden funktioniert?).
Olympionike Usain Bolt in der Eiswanne
Wie gesund ist Eisbaden?
Dienen Kälteanwendungen im Winter tatsächlich der Gesundheit? Die lauwarme Antwort: Es kommt darauf an. Wichtig ist, die Art und Intensität der Anwendung zu betrachten: Kältekammer, Wechselduschen, Wassertreten, Barfußlaufen, Winterbaden, etc. sind verschiedene gebräuchliche Kältetherapien oder Wellnessanwendungen, deren Heilkraft aber zum Teil kaum bewiesen ist. Das berühmte „Kneippen“ wurde sogar 2015/2016 in die Liste des immateriellen UNESCO Kulturerbes aufgenommen, obwohl sowohl die vorbeugende als auch die heilende Wirkung unzureichend erforscht ist.
Claudia Hag nahm sich 2003 ein Herz und untersuchte im Rahmen ihrer Dissertation 89 Studien zum Thema Hydrotherapie, um die Wirksamkeit der Kneippschen Wassertherapie (Waschungen, Güsse, Bäder, Wassertreten) zu erforschen. Davon musste sie bei 83 (!) Studien schwere Mängel im Studiendesign (z.B. bezüglich Kontrollgruppe oder Fallzahl) feststellen und konnte nur aus 6 Studien fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen.
Die restlichen 6 Studien aber fanden positiven Auswirkung von hydrotherapeutischen Maßnahmen auf Herzinsuffizienz und venenspezifischer Kneipptherapie auf die venöse Funktion. Erkältungspräventive Wirksamkeit wurde festgestellt, aber nur bei Erwachsenen. Ein bisschen gesund ist das Winterbaden also schon?
Was soll man beim Winterbaden beachten?
Wo bleiben die Lobpreisungen der gesundheitsfördernden Wirkungen von Kältebad, Kneipp & Co? Johannes Scheiblauer, Geschäftsführer des RelaxResorts Kothmühle ist Fan des Eisbadens: „Ich dusche seit 2 Jahren jeden Tag nur mit kaltem Wasser“, erzählt er nach kurzem Kopfrechnen, „es macht Spaß und ich fühle mich gut dabei“.Inspiriert wurde er durch die US-amerikanische Extremschwimmerin Lynne Coxx, die zur Zeit des kalten Krieges die 4° Celsius kalte Beringstraße von Alaska nach Russland durchquerte. Etwas zögerlich durchquert er den weißen Raureif im Garten, aber legt dann doch entschlossen den Bademantel ab und taucht in den 1° Celsius kalten Badeteich ein.
Die Schwimmeinlage dauert nicht einmal eine Minute und ein paar hastige Schritte später befinden wir uns wieder im Wellnessbereich, beim zweiten Saunagang. Als Sport würde ich das nun nicht wirklich bezeichnen. Der dreifache Marathonläufer kennt den problematischen Umgang mit medizinischen Studien, aber lässt sich dadurch wenig beirren: „In unserem Resort geht es um Wellness und Entspannung.
Wir wollen nicht medizinische Paradigmen formen, sondern vielmehr den Menschen ein breites Spektrum an Wegen und Werkzeugen zum eigenen Wohlbefinden anbieten.“ Und für einige Menschen dürfte dieser Weg durch die weite Welt der Kälteanwendungen führen.
„Hüfds ned, schods ned“?
Die Beweislage für Wirkungen von Kältetherapien bewegt sich auf dünnem Eis. Die „Zeit“ hat mit den Vorzügen und Risiken des Eisbadens und des „Abhärtens“ im Allgemeinen auseinandergesetzt und rät dazu, nicht mit Händen und Kopf einzutauchen und niemals alleine ins Eiswasser zugehen. Das Sprichwort „Hüfds ned, schods ned“ (sinngemäß: „Hilft es nicht, dann schadet es auch nicht“) gilt außerdem nicht beim Eisbaden. Wichtig ist, im Vorhinein die eigene körperliche Fitness abzuchecken.
Im Winter im Schwimmteich zu baden kann erfahrungsgemäß sehr viel Spaß machen. Was die gesundheitlichen Auswirkungen betrifft, sollte man die Weisheit des Volkes aber mit Vorsicht genießen: Wenn eine Hundertjährige jeden Tag im Fluss badet und ein Stamperl Schnaps trinkt kann das gegen vieles helfen, möglicherweise aber auch nicht.
________________________________________________________________________________________________________________________________
Portrait aus der Region
Manuela Landl aus Hollenstein kühlt sich regelmäßig in der Ybbs ab. Seit 40 Jahren geht sie von April bis Oktober täglich schwimmen. Seit 3 Jahren aber geht sie das ganze Jahr über täglich in den Fluss, also auch im Winter. „Ich hatte früher oft starke Kopfschmerzen ab November bekommen“, erzählt die 55-jährige, „durch die regelmäßige Abkühlung geht es mir damit viel besser“.
Beruflich arbeitet die gelernte Kauffrau im Familienbetrieb „Loden Landl“, einem regionalen Trachtengeschäft mit eigener Produktion und Schneiderei. Gemeinsam mit einer guten Freundin absolviert sie den täglichen Adrenalinkick bei jeder Temperatur. An kalten Tagen zählt der Fluss gerade mal 4° Celsius. Die Uhrzeit des Badegangs ändert sich ständig – mittlerweile gibt es nämlich schaulustiges Publikum, dem sie und ihre Freundin entrinnen möchten.